Wenn heute nur 10% aller Kieler mit dem ÖPNV fahren, dann müsste es doch einfach sein, den Anteil auf 20% zu verdoppeln?

Veröffentlicht am 23. November 2024 um 08:52

Das Kernziel der Stadtbahn ist es, bis 2050 klimaneutral zu werden. Da der Autoverkehr heute zum großen Teil durch Benzin- und Dieselabgase dem Klima schadet, soll er bis 2050 reduziert werden. Die Autofahrer sollen in die mit erneuerbaren Energien betriebene Stadtbahn (ÖPNV) umsteigen.

 

Dazu der Oberbürgermeister Kiels, Ulf Kämpfer: „Derzeit haben wir einen mickrigen ÖPNV-Anteil am Gesamtverkehr von nur zehn Prozent. Langfristig wollen wir auf 20 Prozent kommen. Das ist gar nicht so ehrgeizig, wie es klingt, sondern ist der Durchschnitt von Großstädten mit einem modernen ÖPNV“ (Magazin Westwind, Frühjahr 2023). Die Fahrgastzahlen des ÖPNV sollen also verdoppelt werden.

 

Dahinter stehen drei Kern-Annahmen, die alle falsch sind:

 

1. Annahme: Der Autoverkehr wird bis 2050 weiterhin mit Benzin und Diesel betrieben, während nur der ÖPNV mit erneuerbarer Energie elektrisch betrieben wird. 

 

Diese Annahme ist veraltet. Laut dem Erneuerbare Energien Gesetz und der amtlichen Verkehrsprognose ist es unausweichlich, dass der Autoverkehr bis 2050 ebenfalls mit erneuerbaren Energien elektrisch betrieben sein wird. Klimaneutral wird Kiel auch ohne Stadtbahn.

 

2. Annahme: Weil nur 10% aller Verkehrswege in Kiel mit dem ÖPNV zurückgelegt werden, gibt es ein hohes und noch nicht genutztes Verlagerungspotential vom Autoverkehr auf den ÖPNV.

 

Das stimmt nicht: Wikipedia listet 42 mit Kiel vergleichbare Städte in Deutschland auf, die 100.000 bis 700.000 Einwohnern haben, und bei denen Modal Split Zahlen vorliegen. Die Zahlen zeigen

 

    • Ja, tatsächlich nutzen 35 dieser Städte (85%) den ÖPNV stärker als Kiel. Aber:
    • In Kiel werden Autos unterdurchschnittlich genutzt, um Verkehrswege zurückzulegen. 61% (25 Städte) nutzen Autos häufiger als Kiel. Nur 38% aller Verkehrswege in Kiel werden mit dem Auto zurückgelegt.
    • Die Erklärung ist einfach. Kiel ist eine Stadt der Fußgänger und Radfahrer. 52% aller Verkehrswege in Kiel werden mit dem Rad- und zu Fuß zurückgelegt. Nur 20% aller 42 vergleichbaren Städte haben einen höheren Anteil als Kiel. 

 

Klimaneutraler kann man ja nicht unterwegs sein als zu Fuß oder mit dem Rad. Fußgänger und Radfahrer brauchen deshalb nicht auf den ÖPNV verlagert werden. Bleiben also die Autofahrer als einzig sinnvolles Verlagerungsobjekt. Der Anteil der Verkehrswege mit dem Auto müsste also von derzeit 38% auf in etwa 28% sinken, damit der Anteil der Verkehrswege im ÖPNV von 10% auf 20% steigen kann. Der niedrigste MIV Wert allen 42 Städten ist jedoch 32%, der Mittelwert 43%. Eine derartige Verlagerung ist also angesichts des bereits hohen Fuß- und Radanteils unrealistisch.

 

3. Annahme: Die 10% ÖPNV Wege werden sich nach Einführung der Stadtbahn auf 20% verdoppeln. Das entspricht einer Zunahme der täglichen Fahrgäste von 100.000 auf 200.000. Dafür soll die Stadtbahn möglichst attraktiv und der MIV möglichst unattraktiv gemacht werden.

 

Auch mit noch so drastischen Maßnahmen hat auf der Welt noch keine einzige Stadt auch nur annähernd eine Verdoppelung der Fahrgastzahlen erzwingen können. Sogar die stadteigenen Gutachter sprechen von nur 17.139 verlagerten Autofahrten. Stadtbahnprojekte anderer Städte sind gescheitert, weil die Fahrgastzahlen nicht nachvollziehbar waren.

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