Dies ist mit Abstand die meist gestellte Frage aus den eMails unserer Unterstützer.
Die Stadtbahn soll in drei Abschnitten gebaut werden. Der erste Spatenstich ist für 2033 geplant. Die technische Abnahme aller drei Abschnitte soll nach sieben Jahren 2039 vollzogen werden. Das ist für so ein Mammut-Projekt ein ehrgeiziges Ziel, zumal der Bauplan sehr eng gestrickt ist. Andere öffentliche Projekte haben ihren Zeitplan deutlich überschritten. Stuttgart 21 verzögert sich nach neuesten Zahlen um sieben Jahre, der Flughafen Berlin war dreizehn Jahre spät, die Elbphi sechs Jahre.
Damit die Straßenbahn nach sieben Jahren Bauzeit zum ersten Mal Passagiere aufnehmen kann, müssten alle Bauunternehmer sich auf die Kieler Stadtbahn konzentrieren, alle benötigten Bauarbeiter sich trotz Personalmangel einfinden, alle Baumaterialien rechtzeitig ankommen, alle Genehmigungen rechtzeitig vorliegen, alle benötigten Grundstücke rechtzeitig von den jetzigen Eigentümern gekauft werden, es dürften keine externe Krisen (Covid, Kriege, Migrationsthemen, usw.) oder andere externe Faktoren (Großveranstaltungen, unvorhergesehene Baustellen in und um Kiel) auftreten, die Zulieferer und deren internationale Zulieferer für Fahrzeuge, Oberleitungen, Signalisierung, Haltestellen, müssten alle solvent bleiben und Kapazitäten für Kiel reservieren, im Baugrund dürften sich keine Altlasten oder Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg finden, die Trennung, Verlegung und Neuanschlüsse der unterirdischen Versorgungsleitungen (Strom, Wasser, Abwasser, Gas, Kabel, etc.) an sämtliche der Stadtbahn anliegenden Häuser müsste reibungslos verlaufen, es kommt wegen Kostensteigerungen nicht zu Verzögerungen, es regnet und schneit nicht übermäßig, oder auch sonst bekommen wir in Kiel keine ungewöhnlichen Wetterphänomene.
Dann würde der innerstädtische Verkehr für sieben Jahre extreme Behinderungen erfahren. Man denke alleine an die Bauarbeiten für die erste Trasse von der Fachhochschule über die Werftstraße, den Hauptbahnhof, die Bergstraße, die Holtenauer Straße bis zur Universität. Die neuen Bushaltestellen werden alle wieder entfernt, der Straßenbelag aufgerissen, Fußgänger queren die Straßen über kleine Brücken, überall Lärm, Baufahrzeuge, Schutt, umgesägte Bäume, Lieferverkehr, der versucht, die Einzelhändler zu beliefern, Autos, die nach Parkplätzen suchen, Busse, die umgeleitet werden und für die in den umgebenden Straßen provisorische Haltestellen geschaffen werden, der Radverkehr auf der Suche nach Lücken, von Morgens bis Abends Stau in Kiel und den Einfallstraßen. Menschen mit Rollstühlen, Rollatoren und Kinderwagen versuchen sich den immer wieder neuen Gegebenheiten anzupassen.
Welcher Bürger hätte bei diesen Zuständen Lust, innerhalb Kiels noch einkaufen zu gehen oder über die Holtenauer Straße zu flanieren? Wie viele Touristen würde Kiel verlieren? Wie viele Einzelhändler würden überleben? Wer würde entlang der Baustelle noch die Cafés oder Restaurants besuchen? Wer möchte entlang der Trassenbaustelle noch Wohnungen mieten? Wie viele Studierende würde Kiel verlieren? Wie viel früher müssten alle aufstehen, um pünktlich bei der Arbeit, der Uni, der Schule zu sein? Welche anderen Projekte könnte Kiel nicht verfolgen können? Welche Steuern, Gebühren und Abgaben würden erhöht werden? Wie lange würde es nach Vollendung der Stadtbahn dauern, um all die Auswirkungen wieder zu kompensieren? Würden sich die Mieten nach Baufertigstellung erhöhen?
Wir haben übrigens noch nicht über die dann neue Parkplatzsituation gesprochen. Nach einer Parkraumstudie der Stadt Kiel gibt es ca. 26.000 öffentlich bewirtschaftete Parkplätze in Kiel. 10% dürfen 400m zu beiden Seiten der Trasse wegfallen. Es werden also 2610 Parkplätze in den Haupteinkaufszonen fehlen. Da ab 2035 keine Verbrenner mehr neu zugelassen werden, fahren 2039 vermehrt auch eAutos auf der Suche nach Parkplätzen und Ladestationen herum. Die Autofahrer werden am ehesten die Innenstadt meiden und lieber lokal oder in dann neu entstehenden Einkaufszentren wie CittiPark einkaufen gehen. Die Holtenauer Straße ähnelt dann mehr und mehr der desolaten Holstenstraße, da nicht genügend Kunden die Cafés, Restaurants und Läden besuchen und einige davon schliessen werden.
Das ist das Szenario, wenn der enge, siebenjährige Bauplan eingehalten wird. Was wäre jedoch, wenn der Bau fünf bis zehn Jahre länger dauert? Wenn das passiert, dann haben die heutigen Politiker gewonnen: Es wird sehr ruhig in der Kieler Innenstadt. Auch zu Hauptverkehrszeiten gibt es noch massive Kapazitäten in der Stadtbahn, die auf begrünten Gleisen durch leere Straßen quietscht.
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