Ist der Verkehr in Freiburg deutlich umweltfreundlicher als in Kiel?

Veröffentlicht am 19. Februar 2025 um 20:16

Klimaneutralität ist das Hauptargument der Stadt Kiel für die Einführung der Stadtbahn. Denn Kiel hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klima- bzw. CO2-neutral zu werden. Dazu soll der Verkehr als wesentlicher CO2-Emittent umstrukturiert werden. Der Anteil des als umweltfreundlich geltenden öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) am Gesamtverkehr soll erhöht und der als umweltschädlich geltende motorisierte Individualverkehr (MIV bzw. Autoverkehr) entsprechend reduziert werden. Es wird davon ausgegangen, dass ein qualitativ hochwertiges ÖPNV-Angebot viele Autofahrer zum Umsteigen bewegt und dadurch weniger CO2 ausgestoßen wird.

 

Die Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel am Gesamtverkehr werden durch den Modal Split beschrieben. Verkehrsmittel sind MIV, ÖPNV, Rad- und Fußverkehr. Modal-Split-Zahlen für verschiedene deutsche Städte finden sich unter anderem bei Wikipedia. Demnach hat Freiburg im Breisgau mit 21% den mit Abstand niedrigsten MIV-Anteil aller Städte. Kiel liegt bei 38%. Freiburg wird deshalb als Beispiel für umweltfreundlichen Verkehr genannt.

 

Wie konnte Freiburg einen so niedrigen MIV-Anteil erreichen? Die Begründung ist leider recht banal: Freiburg hat den Modal Split anders gemessen als Kiel. Die Messung in beiden Städten basiert auf dem „System relevanter Verkehrsbefragungen“ (SrV), einer standardisierten Befragung, die von der TU Dresden entwickelt wurde und in der Regel auch von ihr durchgeführt wird. Vereinfacht gesagt, werden die Einwohner einer Stadt gefragt, welche Verkehrsmittel sie für Wege innerhalb der Stadt (Binnenverkehr), Wege aus der Stadt (Quellverkehr) und Wege in die Stadt (Zielverkehr) benutzen. Die Wege im Binnenverkehr werden in der Regel meist zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt. Für die längeren Wege im Quell- und Zielverkehr wird dagegen meist das Auto genutzt. Die TU Dresden hat die Messungen in Kiel durchgeführt. In Freiburg wurde das „Institut Omnitrend, Empirische Forschung und Analyse, Leipzig“ beauftragt, „die Auswertung erfolgte durch die PTV Planung Transport Verkehr AG, Karlsruhe“. Gemessen wurde nur der Binnenverkehr. Die SrV-Daten aus Freiburg sind daher nicht mit den SrV-Messungen aus Kiel vergleichbar.

 

Um die Freiburger Zahlen vergleichbarer zu machen, wurde dort zusätzlich der Modal Split nach den Vorgaben von „Mobilität in Deutschland“ (MiD) bzw. im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) gemessen. Dabei wurde sowohl der Binnenverkehr als auch der Quell- und Zielverkehr gemessen. Demnach liegen Freiburg und Kiel beim MIV nur noch 4 Prozentpunkte auseinander. Der Verkehr in Freiburg ist in dieser Hinsicht also nicht wesentlich umweltfreundlicher als in Kiel:

Tab 1: Vergleich Modal Split Kiel zu Freiburg

 

Die Freiburger Studie, die diese Unterschiede aufzeigt, wurde von Burkhard Horn, Mobilität und Verkehr - Strategie & Planung, im Auftrag der Stadt Freiburg erstellt. Der Autor stellt darin für Freiburg fest, „dass der ÖPNV trotz des qualitativ hochwertigen Angebots mit 16% einen vergleichsweise niedrigen Anteil aufweist“ (S.11), dass die „Reduzierung der Nutzung des Autos als Privatfahrzeug … bislang nicht abnimmt“ (S.5) und „Ein- und insbesondere auch Auspendlerverkehre“ stetig zunehmen (S.11). Zusammengefasst: „Es ist nicht gelungen, die Motorisierung der Freiburger Bevölkerung zu reduzieren. Der relative Wert (PKW/1.000 EW) bleibt seit Jahren relativ konstant, in absoluten Zahlen steigt der PKW- Bestand in Freiburg (analog zur Bevölkerungszunahme)“ (S.12). Diese Feststellungen widersprechen eindeutig der Annahme der Stadt Kiel: Ein qualitativ hochwertiges ÖPNV-Angebot führt nicht zum Umstieg von Autofahrern auf den ÖPNV!

 

Chancen für eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes sieht der Autor durch (S.14 ff.):

  1. Flexibilisierung der Arbeit: Der Nutzung flexibler Arbeitszeiten und Homeoffice z.B. durch„gestaffelte Anfangszeiten für Arbeit, Schule und Universität oder ein Tag Homeoffice pro Woche für die Branchen, in denen dies möglich ist, unter Berücksichtigung der jeweiligen individuellen Möglichkeiten der Menschen“. 
  2. Raum- und Siedlungsentwicklung mit dem Ziel, Bedürfnisse der Menschen mit kürzeren Wege zu erfüllen (z.B. Bildungsstätten und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe).
  3. Technologische Innovationen: Elektrifizierung, Mikromobilität, Digitalisierung. Dazu gehört mittelfristig auch autonomes Fahren.
  4. Ausbau der Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer.
  5. Der richtige Mix aus Regulierung und Angebot („push“ und „pull“) 

 

Dem ÖPNV wird vor allem eine Rolle im Pendlerverkehr zugeschrieben. Im Binnen-, Quell- und Zielverkehr zeigen die obigen Zitate, dass ein Ausbau des ÖPNV nicht zu einer CO2-Reduktion aufgrund des Umstieg aus dem MIV führt.

 

Zusammengefasst:

Bei gleicher Messung ist der Verkehr in Freiburg nicht wesentlich umweltfreundlicher als in Kiel. Darüber hinaus zeigen die Erfahrungen in Freiburg, dass es trotz eines qualitativ hochwertigen ÖPNV-Angebots nicht gelingt, Autofahrer zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen. Hierfür sind Maßnahmen wie Flexibilisierung der Arbeit, Raum- und Siedlungsentwicklung, Innovationen, Ausbau des Fuß- und Radverkehrs sowie Push- und Pull-Maßnahmen besser geeignet.

Für den Erfolg der Stadtbahn Kiel ist dieses Ergebnis kritisch.

 

Quellen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Modal_Split, zuletzt abgerufen am 12.2.2025

 

https://tu-dresden.de/bu/verkehr/ivs/srv/das-srv/srv-standard, zuletzt abgerufen am 15.2.2025

 

https://web.archive.org/web/20170417071445/http://www.freiburg.de/pb/,Lde/1060226.html, zuletzt abgerufen am 15.2.2025

 

Horn, B, 2021, Strategiepapier „Klimaschutz und Mobilität“ i.A Stadt Freiburg im Breisgau

 

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